Die Psychologinnen: Was ist los im Kopf?

Mini-Folge 16: Bracing - Vom Schlimmsten ausgehen, um nicht enttäuscht zu werden.

Julia Pouly und Katja Tressel Season 2 Episode 16

Was ist besser: Vorfreude auch bei Unsicherheit oder sich aufs Schlimmste vorbereiten?

Das Konzept des Bracing – mental auf das Schlimmste gefasst sein – soll Enttäuschungen vermeiden, doch oft macht es alles nur schlimmer: mehr Stress, weniger Motivation und verpasste Chancen.

In unserer neuesten Folge erfährst du, warum Vorfreude nicht nur gesünder ist, sondern auch effektiver – und wie du negative Gedanken in realistischen Optimismus umwandeln kannst.

Hör rein und entdecke, warum positive Erwartungen der Schlüssel zu einem erfüllteren Leben sind.

Hosts: Julia Pouly und Katja Tressel
 
Musik von ComaStudio

Coverphoto von Julia Pouly @lens_ofthemind 

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Mini-folge: Bracing

Katja Tressel: Willkommen beim Adventskalender von Was ist los im Kopf.

Julia Pouly: Wir sind die Psychologinnen, und heute geht es um das Thema Bracing – also vom Schlimmsten auszugehen, um sich davor zu schützen, nicht enttäuscht zu werden. Das ist das Gegenteil von Vorfreude.

Julia Pouly: Es ist wirklich sehr verbreitet. Viele tendieren dazu zu sagen: "Ich möchte jetzt lieber nicht die Erwartungen so hochschrauben, weil wer weiß, wie es wird." Es gibt viele Studien dazu, und es hat eigentlich eine Schutzfunktion. Oft kommt es daher, dass wir mal enttäuscht wurden oder uns ins Fettnäpfchen gesetzt haben. Etwas, worüber wir uns geschämt haben oder so, und das gilt es zu vermeiden. Solche Erfahrungen merken wir uns besonders gut, wenn sie mit unangenehmen Emotionen verbunden sind.

Julia Pouly: Ich persönlich bin eher Team Vorfreude. Ich habe einen englischsprachigen Ehemann und fand es interessant, dass es im Englischen nicht wirklich ein schönes Wort für Vorfreude gibt. Ich habe das mal mit ihm diskutiert. Es gibt "anticipation", aber das trifft nicht ganz das gleiche. Wir hatten oft die Diskussion: Wann ist das sinnvoll? Warum nicht?

Julia Pouly: Ich habe festgestellt, dass es überhaupt nicht funktioniert, sich durch negative Gedanken vor Enttäuschungen zu schützen. Wir sind nicht weniger enttäuscht, wenn wir uns vorher Sorgen machen, dass wir enttäuscht werden könnten.

Katja Tressel: Oh, Menno.

Julia Pouly: Ja, leider. Ich würde das gerne allen Hörerinnen und Hörern abgewöhnen. Studien zeigen, dass diese Strategie die Enttäuschung nicht abfängt. Im Gegenteil, die Enttäuschung ist danach genauso groß oder nur minimal weniger.

Julia Pouly: Was auch faszinierend ist, ist die selbsterfüllende Prophezeiung. Wenn wir denken: "Oh, ich werde mich auf jeden Fall blamieren, es wird fürchterlich werden", verhalten wir uns oft so, dass wir tatsächlich schlechter ankommen. Wir sind nervöser, bereiten uns weniger vor, und unsere Ausstrahlung wirkt angespannt. Am Ende haben wir vielleicht einen Blackout und wissen nicht mehr, was wir sagen wollten, und sagen dann: "Habe ich es doch gewusst."

Katja Tressel: Ja, super, dann haben wir wenigstens recht gehabt.

Julia Pouly: Genau. Das führt zu Abwärtsspiralen. Und negative Erwartungen rauben uns Kraft und mentale Kapazität und erhöhen unser Stresslevel. Wir geraten in eine Spirale, in der wir uns immer wieder die Situation negativ ausmalen.

Katja Tressel: Diese ständigen negativen Gedanken sind typisch für Depressionen.

Julia Pouly: Genau. Und dadurch sinkt oft auch unsere Motivation, etwas anzugehen, weil wir ein schlechtes Ergebnis erwarten. Das ist schade, weil sich dann viele Menschen zurückhalten und nicht das in die Welt bringen, was sie eigentlich könnten oder wollten.

Julia Pouly: Wir sind weniger kreativ und weniger leistungsfähig, wenn wir in einer Stressreaktion stecken. Das führt dazu, dass wir Chancen verpassen.

Katja Tressel: Genau, die Aufmerksamkeit wird verengt, und wir nehmen viele Dinge gar nicht mehr wahr.

Julia Pouly: Was mache ich also, wenn die negativen Gedanken kreisen und ich mich vielleicht nicht traue, mich auf etwas zu freuen? Zum Beispiel, ich habe ein Jobangebot bekommen oder freue mich eigentlich auf Weihnachten, aber ich traue mich nicht, mich zu freuen, weil es letztes Mal einen Eklat gab oder ich den Job doch nicht bekommen habe. So eine Haltung funktioniert nicht.

Julia Pouly: Ich sage: Zuerst kann man sich eingestehen, dass man Sorgen oder Ängste hat, aber man sollte sie nicht einfach wegdrücken. Ich persönlich bin ein großer Fan von Klopfmethode oder anderen Techniken, um sich einzugestehen: "Ich bin aufgeregt, ich habe Angst, und das ist auch legitim."

Julia Pouly: Zweitens kann man sich fragen, wie realistisch das Schlimmste ist. Wenn man sich das schlechteste Szenario ausmalt, kann man dann kreativ hinterfragen, wie wahrscheinlich es wirklich ist, dass es so kommt?

Julia Pouly: Und wenn Schwierigkeiten zu erwarten sind, kann man sich einen Plan machen, um diese zu lösen oder sich ein Netzwerk aufzubauen. Wer kann einen trösten, wie kann man sich selbst etwas Gutes tun?

Julia Pouly: Drittens kann man ein bisschen Optimismus reinbringen. Man kann sich fragen, was ein guter Ausgang der Situation sein könnte und sich fragen, worauf man sich freuen kann.

Katja Tressel: Also nach dem Motto: Einfach mal machen – es könnte gut werden.

Julia Pouly: Genau. Und auch das wirklich zu visualisieren. Wenn wir so kreativ sind, das Worst-Case-Szenario auszumalen, warum nicht auch das Best-Case-Szenario visualisieren?

Julia Pouly: Ich persönlich habe eine spezielle Rechnung: Wenn ich Vorfreude habe, ist das wie ein Plus auf dem "positiven Konto". Selbst wenn dann die Enttäuschung kommt, habe ich das Gefühl, dass ich trotzdem ausgeglichen bleibe. Denn die Vorfreude kann mir niemand wegnehmen.

Katja Tressel: Mhm, genau. Ich hatte wenigstens vorher eine gute Zeit.

Julia Pouly: Genau. Ich bin auch kein großer Freund von Überraschungen, weil ich die Vorfreude lieber genießen möchte. Bei Urlaub zum Beispiel ist die Vorfreude auf den Urlaub oft genauso wichtig wie der Urlaub selbst. Wenn man diese Vorfreude intensiv erlebt, hat man nachher auch mehr von der guten Zeit.

Julia Pouly: Wenn ich jedoch vom Schlimmsten ausgehe, wie man im Englischen schön sagt, "dread" (Angst), dann zieht einen das schon körperlich runter. Und wenn dann die Enttäuschung noch eintritt, wird das nur noch potenziert. Das bedeutet, man fühlt sich noch schlechter, als wenn man die Enttäuschung direkt erleben würde.

Julia Pouly: Wenn man das Schlimmste schon erwartet hat und dann ein Erfolg kommt, hat man nicht viel gewonnen, weil das Negative, das man sich vorher ausgemalt hat, das Gute, das passiert ist, überschattet.

Katja Tressel: Mhm, und man kann es vielleicht gar nicht richtig genießen.

Julia Pouly: Genau, das ist meine persönliche Rechnung. Sie ist nicht unbedingt wissenschaftlich fundiert, aber sie macht für mich viel Sinn, und ich hoffe, sie hilft, die eigenen Gedanken anders zu steuern.

Julia Pouly: Genau, so viel zum Thema Bracing und ein Appell an die Vorfreude – egal, wie realistisch die ist oder nicht.

Katja Tressel: Okay, ich werde es ausprobieren.

Julia Pouly: Bis zum nächsten Mal.

Katja Tressel: Bis zum nächsten Mal.


erstellt mit Hilfe von KI.


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